Der Ursprung dieses Co-Curating mit der Van der Grinten Galerie über Schuhe war der Besuch von Franz und mir im Jahr 2021 auf der Art Cologne, wo wir uns in die makabren Bleistiftzeichnungen von Rudolf Schlichter verliebten, die die Oxfordschuhe eines Mannes nebst Andeutung seiner Hose zeigten. Aber sie zeigten auch unverkennbare Schatten unter diesen Schuhen, die verrieten, dass es sich um einen erhängten Mann handelte. Dieses provokante und unwiderstehliche Bild hat uns sofort dazu inspiriert, weitere Werke zu finden, die sich ähnlich geheimnisvoll mit dem Schuh befassen.
Ich denke, wir haben eine sehr interessante „euro-amerikanische“ Mischung zusammengestellt, und obwohl ich nur über die von mir ausgewählten Werke sprechen kann, freue ich mich, dass wir ein so breites Spektrum an Medien haben, von Aquarellen und Collagen bis zu einer digitalen Skulptur aus einem 3 D-Drucker, einer Kugelschreiberzeichnung auf Leinen aus der Feder einer berühmten Tätowiererin aus San Francisco, der Toile-de-Jouy- Stickerei von Richard Saja, dem naturgetreuen Modell einer französischen Fregatte des australischen Künstlers Timothy Horn, Yvetta Fedorovas wundervollem Damenstiefel als Scherenschnitt, einem mit Samt gepolsterten Stiefel von Janet Stein aus Barcelona und Robert Fontanellis originellen modernistischen Sesseln als Schuhe, die modelliert und fotografiert wurden. Was die kuriosen Fundstücke angeht, die ich auf den Flohmärkten in New York und Mexiko-City gesammelt habe, so bin ich ganz vernarrt in sie: das Vitrinchen eines Momento Mori aus dem frühen 20. Jahrhundert, das Beerdigungsutensilien enthält: schwarze Schuhe, schwarzer Hut und Schleier, ein echtes Haarteil und die Fotografie, die die Trägerin in dieser vollen Montur zeigt; die mexikanische Schuhputzdose, von der ich lediglich den Deckel als Wandrelief behalten habe; das Aquarell auf Zellstoffpapier eines chinesischen Schusters, ein sehr seltenes Überbleibsel einer Praxis, bei der Originalaquarelle als Einpackpapier benutzt wurden, um westliche Käufer anzulocken. Warhols Beitrag spricht für sich selbst, und es waren seine kommerziellen Schuhillustrationen aus den 1950er Jahren, die die Aufmerksamkeit auf ihn als großen Künstler lenkten. Aber die Aufnahme von zwei Collagen von Antonio Lopez auf seinem Briefpapier für die Carnegie Hall erfordert etwas Hintergrundwissen: Antonio Lopez, der mit seinem kreativen Mitarbeiter Juan Ramos zusammenarbeitete, war einer der bedeutendsten Modeillustratoren seiner Zeit. Von den frühen 1960er Jahren bis zu seinem Tod 1987 arbeiteten er und Juan vor allem in New York und Paris und waren für den höchst avantgardistischen Ansatz ihrer Illustrationen bekannt, die farbige Modelle, kunsthistorische Motive und die queere Subkultur einschlossen. Wenn Sie diese Zeit erlebt haben, kennen Sie Lopez.
Also der Schuh. Diese kleine „Notwendigkeit“, die wir alle kennen, die wir alle besitzen, ohne die wir uns nicht bewegen können, hat zahlreiche Aspekte. Ich zähle fünf: Architektur, Fantasie/ Mode, Bescheidenheit/Nützlichkeit, Theatralik und als Zeuge. Am Unmittelbarsten zeigt das das Video von Deborah Luster, die seit vielen Jahren Insassen des berüchtigten Angola-Gefängnisses in Louisiana fotografiert: Ein Mann, der in einem für diesen Anlass geliehenen Paar Steppschuhe einen Moment von Unabhängigkeit erlebt. Ich nenne das, ein Zeuge zu sein. Ein Aquarell von Sasha Brodsky zeigt die Stiefel seines verstorbenen Freundes auf dem Kachelboden seiner römischen Wohnung und bedient sich eines ganz anderen Mittels: Es lässt uns an seiner Erinnerung teilhaben. Scott Teplin, Künstler und Fotoredakteur in New York, ist eine Mischung aus Zeuge und Fantast, mit einer deutlichen Neigung zur Architektur. Er wurde vom Foto eines Autounfalls beeindruckt, auf dem ein einzelner Schuh auf der Straße zu sehen war, und schuf aus dem einzelnen einen vielteiligen Schuhberg, der an das Autowrack erinnert. Der Dichter Max Blagg hat für die Ausstellung ein Gedicht verfasst, das er auf mein Drängen hin in die Form eines Frauenpumps getippt und dann ins Deutsche übersetzt hat. Colette Robbins’ außergewöhnliches, archaisch anmutendes Monument deutet auf alte Zivilisationen hin, obwohl es digital gedruckt wurde. Justen Ladda, ein deutscher Künstler, der seit langem in der New Yorker Lower East Side lebt, nutzte seine erstaunlichen Fähigkeiten, um ein räumlich wirkendes Bild zu schaffen, das mittelalterliche Sabatons darstellt. Es gibt zu viele wunderbare und einfallsreiche Werke, um sie alle hier zu beschreiben.
Ich hoffe, Sie werden Spaß haben, wenn Sie die Ausstellung sehen.
Ruth Marten, 20. September 2022, NYC