Die Welt hat Platz in einem kleinen Ort, in der Linse einer Kamera beispielsweise, die die Informationen eines ihrer Augenblicke in das geschlossene System eines Bildes bringt. Bilder tragen den Glanz eines ganzen Universums in sich, wenn sie den Augenblick begreifen als einen Zustand, der über den Augenblick hinausgeht.
Anders wären die Bilder des 1965 geborenen Franzosen Pierre Faure kaum denkbar, verdanken sie sich doch genau dieser Fähigkeit, der Fähigkeit, sich den Objekten des Interesses so stark anzunähern, dass man in ihnen aufzugehen scheint. Das lässt Pierre Faures Bilder zu Orten werden, wo sich Künstler, Betrachter und die Idee des Abgebildeten treffen.
Die Großstädte unserer Gegenwart sind in ihrer Organisationsform und ihrer Ästhetik vielleicht stärker als je zuvor geprägt von den Bedingungen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse und von der Kultur der Vereinzelung. Sie lassen in ihrem Inneren ganze Areale von Transit, Zerstreuung und Konsum zu, aber auch Orte völliger Unbrauchbarkeit, die man durchqueren, aber in denen man sich nicht aufhalten will. Mit diesen so genannten Unorten beschäftigte sich Pierre Faure in den Jahren 1997 bis 2001 und fasste die in diesem Zeitraum in Paris entstandenen Fotografien unter dem Titel »In the Common Stream« zusammen. Hier zunächst noch in erster Linie als Beobachter. In den Japan Bildern geht er, als Westeuropäer eine dort nach wie vor fremde und in sich geschlossene Welt betretend, einen Schritt weiter.
Das Stipendium der Villa Kujoyama, das ihm 2003 zugesprochen wurde, ermöglichte Pierre Faure seinen ersten Kontakt mit Japan, vor allen Dingen den Metropolen Kyoto, Tokyo, Osaka und Kobe, die er mit der uneingeschränkten Neugierde des Fremden durchstreifte. Dank der Erwerbungen der H+F Collection für das Huis Marseille in Amsterdam reiste Pierre Faure ein zweites Mal dorthin, um die fotografische Arbeit »Japan« zum Abschluß zu bringen.
In den Japan Bildern verdichten sich die Erfahrungen, die er, gleichermaßen Schriftsteller, Filmer und Fotograf, zuvor in Paris gemacht hatte: Der Mensch, das Individuum, bewegt sich im urbanen Umfeld, in städtischen Räumen, die potentiell für jeden zugänglich, zumindest aber einsehbar sind. Er bewegt sich unter der vermeintlichen Obhut der Allgemeinheit und erobert sich die kurzen Momente der Intimität, des persönlichen Ausdrucks, die wie die Akzente in der Melodie der Großstadt wirken, zurück. Die Zeit steht still. Es wirkt wie der Wunsch des Betrachters und des Betrachteten, sie für einen Moment anzuhalten. Vielleicht nur deswegen, um eine Begegnung möglich zu machen.
Um das Phänomen dieser parallelen Erscheinungen zu fassen, ging Pierre Faure in seinen Fotografien zu einer doppelten Subtrahierung über. Er löste die Personen, die sein Interesse erregten, aus dem Kontext der städtischen Situation heraus, und näherte sich ihnen viel stärker als zuvor und schuf Portraits, die dem Betrachter die Luft um sie atmen lässt: ein schlafendes Mädchen, ein junger Mann am Tisch einer Sushi Bar, der Fahrer einer Tram, eine Frau in der Bahn, die in Erwartung ihrer Ankunft mit stolzer Würde aus dem Fenster blickt, junge Japanerinnen, die telefonieren oder ihr Haar zurückstreifen, in die Weite blicken oder lächeln. Sie alle wirken sehnsuchtsvoll hingegeben, nicht selten kommentiert durch den unverholen erotischen Blick des Autors, der die Intensität ihres Ausdrucks durch zurückhaltende Nähe einfängt.
Auf der anderen Seite begegnen einem ausladende Stadtansichten, die konstruiert sind und dadurch ihre Geschlossenheit preisgeben: Pierre Faure fotografierte, meist von erhöhten Standpunkten aus, die unübersehbar scheinenden Ansichten auf und in die Städte, heterogene Geflechte aus Gebäuden und Verkehrswegen. Die Aufnahmen entstanden morgens oder am Nachmittag, der Zeit also, wenn der Sonnenstand die Stadtstrukturen in Licht und Schatten ordnet, schließlich schloss er die Atmosphäre ab und schwärzte die Himmel und verlieh ihnen damit eine Maßstabslosigkeit, die man vom Blick aus einem Flugzeugfenster oder bei Architekturmodellen empfindet: Räume ohne Raum und sich selbst überlassen.
Die Stadtbilder sind wie die Bühnen, wie Hintergründe für das Leben in ihnen. Deutlich wird das in den Arbeiten, wo Pierre Faure Stadträume mit Portraits oder Situationen kombiniert. Er verfährt hierbei wie ein Regisseur, der mit Schnitt und Gegenschnitt arbeitet und eine, die Wirklichkeit überhöhende Dramaturgie anwendet. Aber auch hier wird nie die ganze Geschichte erzählt. Immer gibt es ein Davor und ein Danach, aber es gibt in erster Linie einen Moment, der sich selbst in der Balance hält und von seiner Spannung nur so viel verrät, wie nötig ist, um von dem Geheimnisvollen gefesselt zu bleiben.
Die Bilder von Pierre Faure strahlen eine außergewöhnliche Schönheit aus, und sie folgen einem wie Allegorien, in denen sich das Vertraute mit dem nie zu Ergründendem vermischt.