Die verdammte Ähnlichkeit eines Gemäldes (100 cm auf 70 cm) aus der ‚Titel-Serie’ von Marcus Neufanger mit dem Buchtitel von Jean Baudrillard’s Kultbuch ‚Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen’ (1978, Merve Verlag Berlin, 16 cm auf 12 cm) ist eine Falle, vor der Sie dieser Text warnen will. Ohne es zu merken riskieren Sie eine blutige Nase wenn Sie sich ausschließlich über Wiedererkennung und kunstgeschichtliche Bezüge der Malerei und Zeichnung von Marcus Neufanger annähern. Wenn ich von blutigen Nasen spreche meine ich, das Auflaufen, die Kollision von Körpern in einer räumlichen Vermessenheit. Dieses existenzielle Auflaufen konstelliert eine Nähe, wie sie in Paul Mc Carthy’s Tokyo Santa Performance am 23. Nov. 1996 in der Tomio Koyama Gallery deutlich wird. Ideal und Idol ‚Santa Claus’ scheitert an der körperlichen Realität, den An- und Widersprüchen und den begrenzten Bedingtheiten der Existenz. Ist es wirklich eine blutige Nase, die wir auf der Zeichnung Neufangers erkennen? Er verdichtet den ‚complex shit’ Mc Carthy’s in dem Portrait, mit zeichnerischen Mitteln, zur grundsätzlichen Fragestellung, die er losgelöst vom Ausgangspunkt auf eine andere Ebene transferiert. Hier formuliert sich Bildwirklichkeit und Wirkstoff. Eine Haltung, die unmittelbar aus dem zeichnerischen Vorgang in das zeichnerische Resultat und auf die Betrachter übergeht. “Das Reale wird durch Zeichen des Realen ersetzt.” sagt Baudrillard und es liegt Nahe von einer zweiten Ebene der Realität, die der Zeichen, der Zeichnung zu sprechen. Die Realität der Zeichnung, der Malerei im künstlerischen Verständnis birgt sprachlose Geheimnisse. Die Unterscheidung zu treffen auf welcher Ebene eine Verbindlichkeit der Betrachter zu den Bildern Neufangers entsteht könnte, erhellt die Vorstellung, dass die Ähnlichkeit, das größtmögliche Potenzial der Differenz birgt. Das Andere ist in der Tat etwas anderes, während das Ähnliche den feinsten Unterschied ermöglicht. Diese zweite Ebene der Differenz beschreibt Heinz von Foerster: “Die Begriffe erster Ordnung basieren auf einer scheinbar objektiven Betrachtung der Welt, die zu einem Äußeren wird. Die Begriffe zweiter Ordnung lassen sich auf sich selbst anwenden; sie gestatten die strikte Trennung von Subjekt und Objekt, dem Beobachter und Beobachteten nicht mehr. Man gesteht sich ein, dass jemand, der über Fragen des Bewußtseins oder des Erkennens spricht, ein Bewußtsein und einen Erkennenden benötigt, um dies zu tun.“ Diese tiefere Erkenntnisebene spricht aus dem Werk von Marcus Neufanger. Sie befreit ihn von der Augenscheinlichkeit der Bezüge und der Konstellationen.
„Es malt, es regnet, es schneit sind Geheimniszustände. Wer malt ist damit beschäftigt, die Welt von individuellen Sichtweisen zu reinigen, von seinen und denen der Anderen.“ Marcus Neufanger
Eine Unterscheidung zu treffen, in der Ähnlichkeit das Andere zu erkennen, sich im Entfernen annähern, wie es die Eisenstein’sche Otkas Bewegung, eine Abwendung im Sinne der radikalen Annäherung vorschlägt, verlangt das Werk von Marcus Neufanger. Damit Sie sich kein zweites Mal eine blutige Nase holen, könnte eine Re-entry Übung nach Spencer Brown (Wiedereintreten in ein Differenzfeld) aus der Bildsprache der Kybernetiker, diesen Text außerhalb seiner Spationierung nützlich machen:
Stellen Sie sich in den Regen oder nicht (Differenz).
Wenn Sie im Regen stehen (eine Seite der Differenz), haben Sie einen Regenschirm (Tool, skill) oder nicht.
Wenn Sie mit einem Regenschirm im Regen stehen, stehen Sie nicht im Regen (Re-entry: im Regen stehen oder nicht) Mit dem Schirm bringen Sie die Differenz nochmals unabhängig vom Wetter ins Spiel. Haben Sie einen Schirm dabei? Sie stehen im Regen und Sie stehen nicht im Regen, obwohl Sie im Regen stehen.
Zeichnung und Malerei von Marcus Neufanger lassen Sie, wenn Sie wirklich hinausgehen nicht im Regen stehen auch wenn es regnet und Sie ihren Schirm vergessen haben. Eine Kunst der ich mich bedingungslos aussetzte.
Georg Winter
Stuttgart, 24. Dezember 2012