József Mélyi über Gábor Ősz

Wozu ist ein Bild geeignet? Woraus setzt sich das Bild zusammen? Zwei Fragen, die ebenso bedeutsam sind wie die am häufigsten gestellte: Was ist ein Bild? In langjähriger sorgfältiger Erkundung hat Gábor Ősz diese drei Probleme als einander parallel und gleich wichtig bearbeitet: In seinen Werkgruppen legt er eng verzahnte Versuchsanordnungen vor, in denen er den Eigenschaften der Bildlichkeit nachgeht. Seine Experimente fallen im Wesentlichen unter drei umfassendere Kategorien. In einer ersten Annäherung betrachtet er das Gestaltungsprinzip des durch Licht geschaffenen Bildes und befasst sich hierzu mit Phänomen und Wahrnehmungserfahrung des Lichtes überhaupt. Das Bild ist in diesem Stadium ein sinnlicher Eindruck und zugleich eine theoretische Konstruktion, die sich mit philosophischen – etwa ontologischen oder phänomenologischen – Begriffen analysieren lässt. Der zweite Aspekt der Analyse ist mit dem Ersten durch die Wahrnehmung und die sinnliche Erfahrung verbunden. Hierbei zerlegt Ősz das visuelle Phänomen in seine Bestandteile, um herauszufinden, welches davon für seine Ermittlungen das grundlegendste ist, und nimmt dann, ganz wie in einem echten physikalischen Experiment, an diesem Element Veränderungen vor, so dass er anhand seiner Eingriffe ein immer genaueres Verständnis des Bildes gewinnen kann. Er faltet die Gestaltungsprinzipien des Fotos auf und gelangt auf diesem Weg vom Licht zum Pigment, das die Oberfläche ausformt, wie auch vom Raum zur Position der Kamera (und wieder zurück). Im dritten Aspekt untersucht er vor allem, welchen Anteil der Realität das Foto erfassen kann, in welchem Grade sich das Bild als narratives Werkzeug verwenden ließe, welche Kraft ein Bild besitzt, einen bestimmten historischen Kontext herbeizurufen beziehungsweise zu bemänteln oder auch neu zu verschriften. Seine visuellen Experimente können ebensogut in einem neutralen leeren Raum stattfinden wie in einem der Bunker des Atlantikwalls oder an einem verlassenen Schauplatz, der einst Hitlers Arbeitszimmer war.

Im Fokus aller drei Ansätze steht das Bild selbst: Ősz’ Problemstellungen kreisen um die Fähigkeit des Bildes, das Universum zu erfassen und zu beschreiben, weshalb jedes dieser sorgfältig ausgearbeiteten und in Serien gereihten Bilder auch die Möglichkeit der Visualisierung überhaupt thematisiert. In jedem seiner Experimente erprobt er die Realitätskapazität der Fotografie, wobei drei allgemeine Prinzipien die Ecksteine seiner Ermittlungen bilden: Bewegung, Raum und Zeit. Wie verhält sich das stillstehende Bild zur bewegten Welt? Wie könnte die noch immer mit zahllosen Illusionen befrachtete und geradezu als objektiver Abdruck der Realität betrachtete Fotografie zur durchgreifenden Illusion des bewegten Bildes beitragen? Ősz’ Fotografien sind keine „Filmstills”: Ihnen gehen keine anderen unmittelbar voraus, sie fügen sich zu keinen Erzählsequenzen, sind aber nach wie vor geprägt vom Blickwinkel eines Filmemachers; und die Bewegung in einem Film ist eng abhängig von der räumlichen Position des Sehenden (dem konstruierten Auge) und des Gesehenen (dem in der Fotografie rekonstruierten Phänomen). Gábor Ősz’ Fotografien setzen nahezu durchgängig auf die schlichte räumliche Mehrdeutigkeit der fotografischen Grundkonstellation: die Dichotomie von offenem und geschlossenem Raum. Der geschlossene Raum in der Kamera – oder der Camera Obscura – wird hier der angenommenen Außenwelt gegenübergestellt; durch das Ineinandergreifen dieser beiden Räume kommen illusionistische Welten zum Vorschein, die auf der Dualität von Anwesenheit und Abwesenheit beruhen und in vielen Fällen durch die Inversion von Positiv- und Negativbildern in (virtueller) Bewegung gehalten werden. Der Kernfaktor in den von der Kamera – das heißt vom Auge – konstruierten Räumen ist die Zeit. Zeit, die bei Ősz’ Bildern die Grundlage aller Ermittlungen ausmacht: als Belichtungszeit, als Zeit des Fotografen, der den Raum besieht, oder als historische Zeit. Zeit, die in die mannigfaltigen Schichten der Bilder eingraviert ist, deren Entfaltung jedoch im Raum der Galerie stattfindet, durch die reale Bewegung in der Ausstellung, und sich erst vor den Augen der Betrachter veranschaulicht.

Auf dem zugleich konzeptuellen und sinnlichen Feld, das sich aus der Konzentration des Betrachters herausformt, bekräftigen oder verneinen Ősz’ Werke die Möglichkeit visueller Wahrnehmung.