Das Fenster (The Window)
12. April 2014

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7. Juni 2014

Wozu ist ein Bild geeignet? Woraus setzt sich das Bild zusammen? Zwei Fragen, die ebenso bedeutsam sind wie die am häufigsten gestellte: Was ist ein Bild? In langjähriger sorgfältiger Erkundung hat Gábor Ősz diese drei Probleme als einander parallel und gleich wichtig bearbeitet: In seinen Werkgruppen legt er eng verzahnte Versuchsanordnungen vor, in denen er den Eigenschaften der Bildlichkeit nachgeht.  (József Mélyi: On the works of Gábor Ösz)

Gabor Ősz (1962 in Ungarn geboren, lebt seit 1993 in Amsterdam) untersucht in seinem Werk die Beziehung zwischen Raum und Bild. Grundsätzlich geht es ihm um die Phänomene der Herstellung und der Wahrnehmung von Bildern, spezifisch durch die Medien Film und Fotografie, welche essentiell aus Licht – also Zeit – ent- und bestehen. Dafür fand er den Begriff ,camera architectura‘.

In seiner Auseinandersetzung mit Architektur – vor allem der monumentalen faschistischen Architektur der Nazizeit – stellt Ősz die Frage nach dem möglichen Widerspruch zwischen der Schönheit einer Landschaft und der inhaltlichen Aufladung eines Bildes, das innerhalb eines Fensters – also eines Rahmens – definiert wird, das einen ganz bestimmten Landschaftsausschnitt zeigt. Alle diese Arbeiten beziehen sich auch auf das Verhältnis zwischen architektonischem Raum, Wahrnehmung und Zeit.

So entstand eine Trilogie, die aus den Werkgruppen “The Liquid Horizon” (2000-2002), “The Prora Project” (2002) und dem jüngsten Projekt „Das Fenster“ (2012-2013) besteht. Die großformatigen Bilder der Serie „Liquid Horizon“ entstanden mit direkter Belichtung auf diapositives Fotopapier. Als Kamera dienten Ősz die Beobachtungsbunker am Atlantikwall, also die Architektur selber. So schrieb sich der Blick nach draußen direkt auf das Bild ein. Die Bilder für „Prora“ nahm Ősz mit einer fahrbaren Camera Obscura auf, die in der Lage war, die einzelnen Zimmer der Ferienanlage „Prora“ auf Rügen, die die Nationalsozialisten für die Organisation „Kraft durch Freude“ errichtet haben, aufzunehmen. Hier kommt der Aspekt der Gleichzeitigkeit aller (exakt gleich-großen) Räume eines Stockwerkes dieses gigantischen Gebäudes in einem Bild hinzu und eines Topos der Romantik: das  Zimmer mit Fensterblick.

Die Videoinstallation “Das Fenster” beschäftigt sich mit dem großen, 4 Meter hohen Panoramafenster, das Hitler in den Berghof, seinem Haus im Obersalzberg, einbauen ließ. Dieses Fenster aber war geradezu von monströsen Ausmaßen, und der Blick auf die Berge entsprach der Geste der wahnhaften Weltherrschaft. Dieser „Ausschnitt“ mit der perfekt inszenierten Sicht auf die Bergformation des „Untersberg“, suggeriert auf Grund seiner ungeheuren Größe den Blick aufs Ganze. Gleichzeitig, und das war für Hitler maßgeblich für die exakte Lage des Gebäudes,  handelt es sich bei dem Untersberg um einen mythologisch und historisch hoch aufgeladenen Ort, der auch mit Friedrich Barbarossa, der erstmalig das Reich geeint hat, in Verbindung gebracht wird. Da der Berghof Anfang der Fünfziger Jahre dem Erdboden gleich gemacht wurde, „rekonstruierte“ Ősz mit filmischen Mitteln den exakten Standpunkt bzw. Blick, den das Fenster damals einrahmte. Dabei entdeckte er, dass das Fensterdem  Format des Breitbilds im Kino (1,85:1) entspricht und dieses sich in gleichmäßige Felder im 35mm Filmformat aufteilen lässt. So setzt sich die Videoinstallation aus 90 einzeln aufgenommenen Sequenzen zusammen, die zusammen das vollständige Bild der Aussicht ergeben. Ősz filmte das „Bild“ über mehrere Tage hinweg und teilte das Material intuitiv, also wie ein Maler, auf die 90 einzelnen Fensterfelder auf. Das Bild ist vollständig, aber die einzelnen Ausschnitte haben wechselnde Atmosphären und Helligkeit, die die Farben der Wolken und Berghänge, der Bäume und des Gesteins unterschiedlich reflektieren. Dadurch oszilliert die Arbeit zwischen „stehendem Bild“ und dem Sequenzhaften wechselnder Tageszeiten. Die Projektion entspricht den Dimensionen des historischen Fensters. Sie wird im abgedunkelten oberen Stockwerk der Galerie gezeigt.

Neben der Videoinstallation zeigen wir im  Erdgeschoss  drei großformatige Fotoarbeiten, die ebenfalls auf das „Fenster“ zurückgehen. Hier fließen zeichnerische Notationen und Ideenskizzen als „Aufladung“ in die fotografische Vorlagen ein, die aus dem Internet stammen und die Ősz direkt vom Bildschirm seines Computers auf Negativ belichtet hat.

Der konzeptuelle Umgang mit fotografischen Mitteln ist typisch für Ősz‘ Arbeit. Gleichzeitig sind seine Werke aber auch immer von höchstem ästhetischen Anspruch als Ausdruck seines Bewusstseins für die Einzigartigkeit einer künstlerischen Schöpfung.

Das Fenster/ The Window“ ist die zweite Einzelpräsentation von Gábor Ösz in den neuen Räumen der Galerie.

Die Ausstellung wurde möglich durch die technische Unterstützung der Kölner Firma 235 Media, bei der wir uns herzlich bedanken.

Das über 180 Seiten starke Hardcover Buch „Gábor Ösz, Three by Three“ ist im Sommer 2013 anlässlich der Einzelausstellungen des Künstlers im Netwerk / Center for Contemporary Art in Aalst, Belgien und im Ludwig Museum – Museum for Contemporary Art in Budapest, Ungarn erschienen. Darin sind in zahlreichen ganzseitigen Abbildungen seine wichtigsten Videoprojekte  der letzten Jahre gesammelt, begleitet von einem kurzen Statement des Künstlers zum jeweiligen Werk.

Gábor Ösz‘ Arbeiten sind in zahlreichen, internationalen Sammlungen vertreten u.a., dem Fonds National d’Art Contemporain (FNAC),/ F; Fondation Louis Vuitton,/ F; FOAM-Fotografiemuseum, Amsterdam / NL; Modern Múzeum, Pécs / HU; Ludwig Museum Budapest, Museum of Contemporary Art / HU; Museum Schloss Moyland, D; Gemeente Museum Den Haag / NL; Frac Franche-Comté / F; Stedelijk Museum, Amsterdam / NL; Musée de la Roche sur Yon / F; National History Museum, Arnhem / NL; Achmea Kunstcollectie / NL; Rabo Bank Collection / NL